Eine Mär verliert ihren Glanz.
Liechtenstein, seine Parteien, sein Fürst, seine Medien, sein Finanzplatz hat über lange Jahre hinweg immer eine Erklärung gehabt, wenn der nächste Skandal platzte:
Bedauerlich, unschön, unvorstellbar. Was, ein Treuhänder verwandelte sich in einen Untreuhänder und griff in die Kasse des ihm zu treuen Händen anvertrauten Vermögens? Pfui, wie kann er nur.
Was, ein Treuhänder verweigert nach dem Ableben des Stifters seinen Begünstigten Einblick in die Stiftung, vor allem, was die von ihm kassierten Honorare betrifft? Ts, ts, das ist gar nicht nett.
Was, ein Treuhänder giesst den Inhalt der Stiftung in ein neues Gefäß, in Fachkreisen dekantieren genannt, und bedauert gegenüber den eigentlichen Besitzern, dass die Konten leider leer seien und der Verblieb des Inhalts unbekannt, da stehe leider das Anwaltsgeheimnis blöd im Weg. Hei, hei, was für ein Frechdachs.
Ach, neuerdings genügt bereits der «blosse Anschein eines möglichen Interessenkonflikts», eine juristische Formulierung, bei der es jedem anständigen Anwalt die Nackenhaare aufstellt, um einen Stiftungsrat abzusetzen, und wenn er sich dagegen wehrt, wird ihm auch noch das Informationsrecht und die Begünstigung entzogen? Aber, aber, was für Schlingel sind denn das, die wollen offenbar ungestört abräumen.
Und da will doch eine reiche Witwe und Trägerin eines weltbekannten Namens dafür sorgen, dass ihre Tochter die auf deren 18. Geburtstag zugesagten Hunderte von Millionen bekommt? Nö, kriegt sie nicht. Ätsch. Schlimm, schlimm.
Oh je, und der eine oder andere Treuhänder greift wirklich einfach ins Treuhandvermögen, weil er eine brasilianische Geliebte oder seine Rolls-Royce-Sammlung finanzieren will und muss? Hm, menschlich verständlich, aber wirklich unschön. Und schliesslich gilt immer und überall die Unschuldsvermutung.
Man könnte diese Liste beliebig weiterführen; der Fantasie der Untreuhänder sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, die Selbstbereicherung auf die Spitze zu treiben.
Aber so kunterbunt die Verbrechen auch sind, die offizielle Antwort ist immer die gleiche: nun ja, das ist schon nicht so toll, aber bitte, das sind doch nur einzelne, seltene schwarze Schafe. Die gibt es doch überall und in jeder Herde.
Und überhaupt: schliesslich gebe es doch die fürstliche Justiz. Ab und an wandert tatsächlich so ein Treuhänder auch in den Knast. Da sieht man doch, dass auch in Liechtenstein der Betrogene sich an den Rechtsstaat wenden kann und vor Gericht dann Gerechtigkeit erfährt.
Bloss: eine Strafanzeige wird häufig damit abgeschmettert, dass die Staatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht erkennen kann. Was wunder, wenn der Betrogene von sämtlichen Informationen abgeschnitten ist. Aber, da bleibt doch noch der Zivilweg, um sein Recht zu erstreiten.
Theoretisch schon. Aber wie soll das der Betrogene finanzieren, wenn ihm sein Vermögen geraubt wurde? In Liechtenstein sind die Anwälte teuer, und guter Rat auch. Prozesse werden gedehnt wie ein Kaugummi, das Instanzenleiterchen hoch und runter geschickt. Monatelang, jahrelang. Bis sich das Problem finanziell (der Kläger ist pleite) oder biologisch (der Kläger ist verstorben) gelöst hat.
Nur ein paar schwarze Schafe? Bei 133 Treuhändern, einer doch eher kleinen Herde, müsste man vielleicht eher fragen, wie viele weisse Schafe es eigentlich gibt.
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!